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“We save now, chokran”

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Der folgende Text von Werner Lutz Kunze (ein lieber, ferner Freund) läßt uns hineinschauen in die zwischenmenschlichen Räume, wir bekommen einen Blick geschenkt, Einblick. Der Bericht beschreibt das Äußere, das Innere und vor allem, das Dazwischen. Wir sind alle Menschen, ruft er sehr leise und sehr laut, wir sind alle Menschen.

“…Ein Text für diejenigen, denen es genauso ergeht wie mir. Tagtäglich. In einem nie enden wollenden Strom der Verzweiflung…”

mit tausend Augen
ein fester Griff am Handgelenk, das kleine Mädchen weint, so junge Hölle, ein Bündel Mensch im Neuland, voller Angst, und Neugier, die Seele zerbombt, das Herz rausgerissen, der Körper gezeichnet, so sollte ein Leben nicht beginnen, voller Schmerz, Entbehrung, ohne Zukunft, nur mit einer Hoffnung, lange genug überleben um das Licht am Horizont zu greifen, ich gebe ihr ein paar Buntstifte und ein weißes Blatt Papier, was kann ich sonst schon tun, ihr Vater schaut mich an, „we save now, chokran“, ich setze mich wieder an den Computer, blicke den Dolmetscher an, mache mit der Vernehmung weiter, Routine, Papierkram, Schicksale als Aktenbündel, abgeheftete Bürokratie, und kein Ende in Sicht,
dieser eingefallene Körper, eine ganze Familie stützend, knochige Finger halten die Zigarette verborgen, kein unnötiges Licht verursachen, sich verstecken um zu überleben, die Schule des Lebens, wie gut es mir geht, hier im gelobten Land, ein voller Kühlschrank, Licht und Wärme wann und wie ich will, die Möglichkeit überall hinzugehen, erhobenen Hauptes, ohne Scheu, ohne Angst haben zu müssen, der Vater des kleinen Mädchens blickt mich an, liest in meinem Gesicht, „you have thousand eye“, ich lächle, drück meine Zigarette aus, der Wohlstand umströmt uns, blickt uns an, der Staat und der erklärte Angstgegner, ich lege meine Hand auf seine Schulter, lächle, deute an das wir zurück ins Büro müssen, die Arbeit wird nicht weniger, auch wenn ich mich davon überrannt fühle,
der Dolmetscher plaudert mit der Mutter,

das kleine Mädchen sitzt am Schreibtisch, malt mit den Buntstiften auf den gerade ausgedruckten Formularen, sieht zu mir auf, lächelt, ich setze mich zu ihr, nehme ein Blatt, ein brennender Panzer, ein halbes Haus, und Menschen ohne Kopf, in den leuchtenden Farben einer freien Welt gemalt, mein Herz zerreisst, ich streiche mit der Hand über den Rücken des Mädchens, sie wimmert leise los, erschrocken ziehe ich meine Hand zurück, ich spüre den Blick des Vaters an mich geheftet, er steht auf, kommt zu uns rüber, zieht den Pullover des Mädchens nach oben, ein frische Narbe, quer über den ganzen Rücken, das Mädchen blickt mich an, umarmt mich zärtlich, ich kann mich nicht bewegen, spüre die Beklommenheit in meiner Kehle, möchte laut aufschreien, eine Träne rollt stumm über mein Gesicht,
die Geräusche des Flughafens strömen durchs offene Fenster, es ist ein lauer Frühlingstag, freundlich und hell, meine Finger rattern auf der Tastatur, das kleine Mädchen schläft auf dem Schoß der Mutter, vermutlich der erste Schlaf seit langem ohne die Angst geweckt zu werden, der Dolmetscher geht das Vernehmungsprotokoll mit dem Vater durch, die Geschichte einer Flucht auf vier Seiten Papier, Sunniten gegen Shiiten, Shiiten gegen Sunniten, oder wie auch immer, Menschen mit Waffen gegen wehrlose Hände, der Onkel lebt in Schweden, hat die Flucht organisiert und bezahlt, die falschen Pässe, den Schleuser, die Verstecke, eigentlich sollte die Flucht bis Stockholm gehen, sechstausend Euro pro Person, dafür die Garantie bis Europa zu kommen, der Wahnsinn ist ein Spiel, die Gewinner stehen fest, Krieg und Menschenhandel haben es aufs Titelblatt des Forbes Magazine geschafft,
Stundenlang bedrucktes Papier, Fingerabdrücke, Lichtbilder, Maßnahmen der Registrierung, das Telefon klingelt, die nächsten zwei Flüchtlinge werden gleich ins Büro gebracht, ich frage den Dolmetscher ob er noch Zeit hat, er nickt, ich schließe den Aktendeckel, bin fertig mit der Familie, bringe sie noch raus zum Bus, kaufe Fahrkarten, eine jämmerliche Geste, warte bis der Bus abfährt, rauche eine Zigarette, das kleine Mädchen winkt zum Abschied, deine braunen Augen werde ich so schnell nicht vergessen, ich stehe auf dem Parkplatz, blicke ihnen nach, werde sie nicht wiedersehen, mich weiter um den nicht abreissenden Strom kümmern, drei gerettete Seelen, der Barmherzigkeit der Gesellschaft preisgegeben, und wieder frage ich mich, was ist mit denen die nicht fliehen können, was ist mit denen die nicht genügend Geld haben um das Monster Menschenhandel zu füttern, ich lebe am Rande des Traumas, trotte zurück ins Büro, zwei junge Syrer, ohne Papiere, von irgendeinem Flug, zwei Geschichten, ich blicke den Dolmetscher an, wir nicken uns zu, kennen uns mittlerweile beim Vornamen, der tägliche Trott will es so, Routine, jeden Tag ein bisschen mehr, wir fangen von vorn an, und ich frag mich wann ich anfange abzustumpfen…


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